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Schwefelbakterien

Die Entdeckung der großen nitratspeichernden Schwefelbakterien


Was sind Schwefelbakterien?

Viele Bakterien atmen mit Sauerstoff, genau wie die meisten höheren Organismen, und oxidieren ("verbrennen") dadurch ihre Nahrung. Es ist aber nicht nur organisches Material, wie Reste aus der Pflanzen- und Tierwelt, das eine gut verwendbare und kalorienreiche Nahrung bietet. Auch viele anorganische chemische Verbindungen sind verwertbar und können als Hauptfutter für besondere Bakterien dienen. Die Schwefelbakterien leben von Schwefelwasserstoff, den sie in Sulfat umwandeln. Gleichzeitig atmen sie mit Sauerstoff. Dadurch gewinnen sie Energie für ihren ganzen Stoffwechsel und ihr Wachstum.
Sulfat gehört zu den wichtigsten Salzen im Meerwasser und dringt ständig in den Meeresboden ein. Unter einer millimeterdünnen Deckschicht, die wie eine atmende Haut die Oberfläche des Meeresbodens bedeckt, ist der Meeresboden eine sauerstofffreie Welt, dafür aber nicht tot. Dies ist die Welt der Bakterien, die organische Überreste von absterbenden Algen abbauen, nachdem sie zum Meeresboden abgesunken sind. Viele dieser Bakterien atmen mit Sulfat, das dabei in Schwefelwasserstoff umgesetzt wird.

Es gibt also zwischen Sulfat und Schwefelwasserstoff einen ständigen Wechsel, der einer der wichtigsten ökologischen Stoffkreisläufe im Meer darstellt und dafür sorgt, das organisches Material wieder in anorganische Mineralien und Pflanzennährsalze umgesetzt wird. Im Meeresboden werden dabei enorme Mengen Schwefelwasserstoff produziert. Es ist für höhere Lebewesen wie Fische oder Krebse entscheidend, daß er im Meeresboden wieder abgebaut wird, bevor er ins Meerwasser gelangt. Denn Schwefelwasserstoff ist hoch-toxisch, ebenso toxisch wie Zyanid, ist aber ein natürlicher Giftstoff. Deshalb gibt es auch in der Natur viele Bakterien, die sich als Schwefelwasserstoffabbauer spezialisiert haben. Die bekanntesten davon atmen mit Sauerstoff. Sie kommen fast überall vor, im Meer, in Seen, im Erdboden oder in den Bioreaktoren und Kläranlagen, wo Abwasser gereinigt wird.

Insbesondere in unseren Küstengewässern, wo die Einleitung von stickstoffhaltigen Nährsalzen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, führt der erhöhte Nitratgehalt zu einer erhöhten Algenproduktion, was wiederum ein stärkeres Absinken der organischen Algenreste zum Meeresboden bewirkt. Daß stimuliert vor allem die Sulfatatmung, und die Schwefelwasserstoffproduktion wird noch größer, bis sie kaum mehr mit dem gleichzeitig sinkenden Sauerstoffgehalt im Meerwasser oxidiert werden kann. Dann übernehmen die Schwefelbakterien die Bühne und breiten ein weißes Laken über den schwarzen Meeresboden. Dies ist eine dünne Schicht von fadenförmigen Schwefelbakterien mit Namen Beggiatoa, denen die Lichtbrechung in unzähligen Schwefeltröpfchen in ihren Zellen einen weißen Schein verleiht. Sie sind die letzte Barriere gegen den Austritt vom Schwefelwasserstoff aus dem Meeresboden, und sie nutzen den Sauerstoff im Meerwasser dafür. Dies war ihre bekannte Funktion bis zu unserer Entdeckung von Nitratvakuolen in Schwefelbakterien.
Warum Riesenbakterien?

Die meisten Bakterien sind ein bis wenige Mikrometer groß (Tausendstelmillimeter). Dafür gibt es gute Gründe. Bakterien können aus ihrer wäßrigen Umwelt ihre Nahrung nur in Form von gelösten Substanzen aufnehmen. Werden die Bakterien zu groß, geht die Aufnahme zu langsam, da die Zellen kein internes Transportsystem (z.B. Kreislauf) besitzen, und sie hungern. Deshalb sind große Bakterien eine Seltenheit in der freien Natur. Bakterien so groß wie die kürzlich entdeckten Thiomargarita (Schulz et al., Science, 16. April 1999) sollten eigentlich gar nicht existieren können. Nur weil sie einen besonderen Zellaufbau haben, ist dies möglich.

Der aktive Teil der Zelle dieser großen Schwefelbakterien besteht aus einer dünnen Schale von Zytoplasma, die eine große, kugelförmige Vakuole umschließt. Die Zytoplasmaschicht ist nur ein paar Mikrometer dick, entspricht also der Größe der normalen Bakterien. So stellen die Thiomargarita trotz ihrer Größe den Stofftransport in der Zelle sicher. Die Vakuole ist wie ein wassergefüllter Ballon - eine ganz einzigartige Struktur unter den Bakterien. Sie dient als Lagertank für Nitrat, womit diese Bakterien atmen. Als Atmungsmittel ist Nitrat im Prinzip genau so gut wie Sauerstoff, hat aber den großen Vorteil, daß es hinter einer Zellmembran gespeichert werden kann, während Sauerstoff als Gas unvermeidlich entweicht. Wie ein Taucher mit Pressluftflaschen können die Thiomargarita monatelang mit ihrem Nitratlager atmen, bevor sie von außen neue Zufuhr brauchen. Mit diesem Nitrat oxidieren die Bakterien Schwefelwasserstoff, der im umgebenden Meeresboden, in dem sie unbeweglich liegen, ständig produziert wird. Abwechselnd brauchen sie dann wieder Nitrat, und sind davon abhängig, dass nitrathaltiges Meerwasser durch die Strömungs- und Pumpenaktivität von atlantischen Wellen in den Meeresboden hineindringt.
Thiomargarita namibiensis:
Deutlich sind die Schwefelkügelchen zu erkennen.
Die Thiomargarita haben aber auch enge Verwandte, die bewegliche Fäden statt unbewegliche Kugel sind, z.B. die Thioploca. Diese bilden an der Pazifikküste von Südamerika die größten sichtbaren Bakteriengemeinschaften der Welt. Hier gibt es eine natürliche Düngung des Meeres, da nitratreiches Tiefwasser aus dem Pazifik vom SO-Wind hochgetrieben wird, aber auch einen ständingen Sauerstoffmangel am Boden der Wassersäule. Über eine Küstenstrecke von 3000 km bilden Thioploca Matten auf dem Meeresboden. Die Matten werden von schleimigen Hüllen der Thioploca zusammengeflochten und erreichen eine Masse von 1 kg Frischgewicht pro Quadratmeter. Viele Bakterienfäden leben zusammen in jeder Hülle, die sich wie ein senkrechter Tunnel in den Meeresboden hinunterstreckt. Hierdurch gleiten die Bakterien ständig auf und ab. Die bis zu 7 cm langen, dünnen Bakterienfäden strecken sich ins Meerwasser, wo sie Nitrat für ihre Atmung aus dem Wasser holen. Mit gefüllten Lagertanks gleiten sie durch ihre Tunnel in den Meeresboden hinunter, wo andere Bakterien für eine intensive Schwefelwasserstoffproduktion sorgen. Dieser Schwefelwasserstoff ist ihre Nahrung und wird von den Thioploca wieder vollständig umgesetzt.

Diese Lebensweise haben wir zum ersten Mal vor vier Jahren bei einer Forschungsreise vor der chilenischen Küste entdeckt. Nachdem aber die Bakterienvakuole als Nitratspeicher erkannt war, haben wir und andere Forscher dieses Phänomen auch in anderen Bakterien gefunden, und immer in großen Schwefelbakterien, die alle miteinander eng verwandt sind. Bei den heißen Quellen in tektonischen Spreizungszonen auf dem Tiefseeboden leben ebenfalls dicke Matten von freilebenden, fadenförmigen Schwefelbakterien der Gattung Beggiatoa. Ihre einzelnen Zellen sind zwar viel kleiner als die der Thiomargarita, die vielzelligen Bakterienfäden sind aber groß genug (ein Zehntelmillimeter im Durchmesser und ein paar Zentimeter lang), daß man sie aus dem Fenster des Tiefseetauchboots, ALVIN, mit bloßem Auge sehen konnte.

Nicht nur bei -für uns -exotischen Standorten kommen nitratspeichernde Schwefelbakterien vor. Nach ihrer Entdeckung in Chile haben wir diese Eigenschaft auch in den heimischen Beggiatoa in der Ostsee gesucht und tatsächlich gefunden. Es scheint also eine weit verbreitete Anpassung zu sein, die vermutlich überall im Weltmeer gefunden werden könnte, jetzt, da wir wissen, wonach wir suchen. Kennzeichen sind Zellgröße, leuchtende Schwefelkörnchen und ein scheinbar leeres Zellinnere. Die weite Verbreitung dieser Bakteriengruppe heißt aber auch, daß ihr Stoffwechsel eine entsprechend wichtige Rolle für die ökologischen Stoffkreisläufe spielt. Durch die Oxidation von Schwefelwasserstoff mit Nitrat in diesen Bakterien werden die Stoffkreisläufe von Schwefel und Nitrat in einer Weise gekoppelt, deren Konsequenzen wir noch nicht überschauen können.




Bo B. Jørgensen
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
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